Der überwachte Bauch
Schwangerschaft ist eine wundervolle Zeit, eine Zeit der Transformation und Erneuerung. Und Schwangerschaft ist ein Prozess, der die werdende Mutter in freudvoller Erwartung in ihre größte Kraft führen kann. Ich kann mich noch gut an den Augenblick erinnern, als ich den ersten positiven Schwangerschaftstest in meinen Händen hielt. Ich erinnere mich an Aufregung und Glück, an Vorfreude und Unsicherheit. Was würde mich wohl erwarten? Woran ich mich auch gut erinnern kann, sind die vielen Arztbesuche, die eine Schwangerschaft für gewöhnlich mit sich bringt. Ich habe das, wie die meisten Frauen, nicht in Frage gestellt, bin brav zu jeder Untersuchung gegangen und habe meinen Mutter-Kind-Pass wie einen kleinen Schatz gehütet. Irgendwie schaut er ja auch enorm wichtig aus, oder? Mutter-Kind-Pass steht in großen Buchstaben darauf und gleich darunter ist der Adler, das Staatswappen, abgedruckt. Und Republik Österreich steht noch dabei. Gleich unter dem Adler. Hat mich irgendwie an meinen Reisepass erinnert. Er kommt sehr staatstragend daher, dieser Mutter-Kind-Pass. Und wenn der außen schon so imponierend gestaltet ist, dann wird der Inhalt erst recht bedeutungsvoll sein. Bedeutungsvoll für meine Gesundheit und vor allem für das Leben meines Kindes. Das habe ich damals, wie gesagt, nicht in Frage gestellt. Schließlich will jede Frau ein gesundes Kind, möchte jede Frau das Beste für ihr Ungeborenes. Und das wird wohl der regelmäßige Gang in die Arztpraxis sein. Mit Mutter-Kind-Pass, wohlgemerkt. Und auch, wenn mir eigentlich nichts fehlt, ich nicht krank bin. Schließlich machen das doch alle so. Über Alternativen wusste ich zum damaligen Zeitpunkt nichts. Ich habe den Marathon von Arztpraxis zu Arztpraxis, von Labor zu Labor, der letztendlich im Krankenhaus in einer medizinisch überwachten Geburt geendet hat, ohne Murren mitgemacht. Ich war eine von vielen. Irgendwann haben mich aber doch Zweifel beschlichen. Ganz still und heimlich hat sich das Gefühl bemerkbar gemacht, dass da etwas nicht ganz stimmig ist. Wie konnte es sein, dass eine gesunde Schwangere derart entmündigt wird; dass ihr nicht zugetraut wird, ihren Gesundheitszustand selbstverantwortlich im Auge behalten zu können, was beispielsweise für einen Diabetiker selbstverständlich ist? Für die einfachsten Tätigkeiten - Wiegen, Blutdruckmessen, Teststreifen in den Urin tauchen - wird die Frau in die Arztpraxis beordert, um sich von einem Profi dabei helfen zu lassen. Ich bin Medizinanthropologin. Der Hang zur kritischen Sichtweise wurde mir quasi in die berufliche Wiege gelegt. Ich habe begonnen, Fragen zu stellen. Und ich habe begonnen, Antworten zu suchen. Den MutterKindPass habe ich plötzlich mit anderen Augen gesehen, habe ihn in einem größeren Kontext wahrgenommen und versucht, einen Blick hinter die glänzende Fassade zu werfen. Der Adler hat mich gar nicht mehr so sehr beeindruckt. Ich habe recherchiert und mit Ärzten gesprochen. Ich habe Hebammen um ihre Meinung gebeten und ich habe andere Frauen, andere Mütter, zu ihren Erfahrungen befragt. Als ich mich mit den Vorschriften in anderen Ländern befasst habe, habe ich festgestellt, dass es unterschiedliche Sichtweisen gibt. In nordeuropäischen Ländern beispielsweise große Freiheiten, in Deutschland einen Mutterpass, dessen Vorgaben formal freiwillig sind, der gesellschaftliche, ärztliche und - ab Geburt des Kindes - auch staatliche Druck aber ähnlich hoch wie in Österreich. Meine Gedanken zu all dem habe ich niedergeschrieben. Ich schreibe, weil ich glaube, dass es Zeit ist für eine Veränderung. Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel weg von der ärztlich geleiteten medizinischen Schwangerenvorsorge hin zu einer frauenzentrierten Hebammenbetreuung in der Schwangerschaft. Der Grundgedanke des Mutter-Kind-Passes mag Fürsorglichkeit sein. Der Ansatz ist, allen werdenden Müttern und ihren Kindern beste medizinische Versorgung kostenlos zur Verfügung zu stellen, um deren Gesundheit angemessen zu fördern.
Endlich schwanger, endlich sicher vorgesorgt beim Gynäkologen des Vertrauens. Doch wer profitiert tatsächlich vom überwachten Bauch? Das derzeit gängige Modell ärztlicher Schwangerenvorsorge wird kaum kritisch hinterfragt. Und das, obwohl Problemschwangerschaften, gewaltsame Eingriffe in den Geburtsverlauf und Interventionen bis hin zum Kaiserschnitt seit Jahren zunehmen, Tendenz steigend. Das Spiel mit der Angst vor unsicheren Ausgängen macht schwangere Frauen zu lukrativen Patientinnen. Vom Arzt definierte Risiken bedeuten oftmals das Ende der Selbstbestimmtheit. Die frohe Hoffnung weicht dem jähen Zweifel, und dieser ruft nach noch mehr Kontrolle. Wo wird diese Entwicklung hinführen - und wie können wir sie positiv beeinflussen? Die Medizinanthropologin Doris Moser setzt sich anhand des österreichischen Mutter-Kind-Passes, des deutschen Mutterpasses und der Situation in der Schweiz kritisch mit der gängigen Schwangerenvorsorge auseinander. Sie hat Mütter und Hebammen zu ihren Erfahrungen mit dem System und ihren Wünschen für die Zukunft befragt. Dabei treten herbe Lücken der Schwangerenvorsorge zutage. Nicht zuletzt deshalb, weil absurderweise ausgerechnet die Hebammen - ausgebildete Spezialistinnen für Schwangerschaft und Geburt - kaum ein Mitspracherecht haben und aufgrund geringer Entlohnung um ihre Existenz fürchten müssen.
Doris Moser ist Medizinanthropologin, Autorin und zweifache Mutter. Ihr Buch "Schwangerschaft schafft Heldinnenkraft" stärkt die Eigenverantwortlichkeit der Frauen, in "Der überwachte Bauch" nimmt sie die gängige ärztliche Schwangerenvorsorge kritisch unter die Lupe und deckt Lücken auf.
Autor | Moser, Doris |
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Verlag | edition riedenburg e.U. |
ISBN | 9783903085077 |
ISBN/EAN | 9783903085077 |
Lieferzeit | 5 Werktage (inkl. Versand) |
Erfassungsdatum | 08.04.2016 |
Lieferbarkeitsdatum | 20.04.2016 |
Einband | Kartoniert |
Format | 1.9 x 22 x 15.6 |
Seitenzahl | 252 S. |
Gewicht | 408 |