Izagirre, Ander

Der Berg, der Menschen frisst

In den Minen des bolivianischen Hochlandes
224 S. Seiten,Paperback
9783858699626
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Der Berg erzittert. Zuerst ganz leicht, die Erschütterung ist kaum wahrnehmbar, dann ein Rumpeln aus Metall und Gestein, das immer stärker wird, bis es kracht. Ein mit Steinen beladener Wagen taucht aus dem Stolleneingang auf und fährt mit voller Geschwindigkeit an mir vorbei. Zwei Bergarbeiter im Arbeitsanzug, mit Helm und Stiefeln, schieben ihn, der eine größer, der andere kleiner, ihre ausgestreckten, gespannten Arme am Wagen, ihre Köpfe zwischen den Schultern, und ihre Füße trippeln. Noch fünfzig Meter weiter, bis zum Ende der Schienen, am Rand einer Böschung. Ein dritter Bergmann wartet dort. Er tritt zum Wagen, drückt den Hebel, der den Trichter freigibt, und kippt die Steine aus dem Wagen auf den Hang. Zwei- oder dreimal pro Woche kommt ein Lastwagen, um die angesammelten Steine abzutransportieren. Die zwei erwachsenen Bergarbeiter, der eine, der den Wagen schob, und der andere, der an der Böschung wartete, reiben sich die blauen Hände am Arbeitsanzug ab, holen Zigaretten aus einer Innentasche hervor und zünden sie an. Es ist Viertel nach sieben am Morgen, ihre Schicht ist zu Ende. Der dritte Bergmann, die kleinste Gestalt, die den Wagen schob, ist ein Mädchen, Alicia Quispe, vierzehn Jahre alt, in zu großer Arbeitskleidung. Einer der Erwachsenen hält ihr eine Wasserflasche hin, und sie trinkt einen großen Schluck. [] Alicia macht eine Arbeit, die es nicht gibt, eine Arbeit, für die man ihr jeden Tag - besser gesagt jede Nacht - zwanzig Pesos bezahlt hat, etwas mehr als zwei Euro. Und für die man ihr jetzt nichts mehr bezahlt. Sie arbeitet jetzt umsonst, um Schulden abzuarbeiten, die die Genossenschaft ihrer Mutter anlastet, eine Falle, um sie als Sklavinnen zu halten.

Der rohstoffreiche Berg Cerro Rico de Potosí in Bolivien ist Teil einer globalen Kette, die außergewöhnlichen Reichtum mit bitterster Armut verbindet. Am Anfang der Kette steht ein vierzehnjähriges Mädchen, das in einer Silbermine arbeitet. Für zwei Euro pro Nacht schiebt die Halbwaise Alicia einen Wagen voller Steine durch die unterirdischen Stollen, um die Familie mitzuernähren. Der giftige Staub der Mine schwebt in der Luft, die sie einatmet, und sickert ins Wasser, das sie trinkt. Anhand von Alicia, ihrer Familie und des Ortes, an dem sie lebt, erzählt der anerkannte, investigativ arbeitende Journalist Ander Izagirre die Geschichte des »Rohstoffsegens« in Bolivien: von den Conquistadores, die Mineralien in Sklavenarbeit abbauen ließen, über den Aufstieg einer lokalen Oligarchie im 19. Jahrhundert bis hin zu einer Reihe von Militärdiktaturen, oft installiert mithilfe der USA, um die Rohstoffversorgung des Nordens zu sichern. Izagirre zeigt, wie die Arbeitsbedingungen und fehlende Sicherheitsvorkehrungen in den Minen ein patriarchalisches Gesellschaftssystem hervorgebracht haben, in dem traumatisierte und durch Alkohol betäubte Bergleute erlittene Gewalt an Ehefrauen und Kinder weitergeben. Das Ergebnis ist eine einzigartig fesselnde Mischung aus Memoiren, Reportagen, Reiseberichten und historischen Texten, die an die Sozialreportagen von Ryszard Kapuciski erinnert.

Ander Izagirre, 1976 im spanischen San Sebastián geboren, schreibt als freischaffender Journalist und Autor über Kriegsverbrechen in Kolumbien, die Mafia auf Sizilien und Überlebende von Tschernobyl, aber auch über Sport und Reisen. Seine Beiträge erschienen unter anderem in El Paìs, El Correo, National Geographic sowie auf CNN. 2015 erhielt er den European Press Prize.

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Autor Izagirre, Ander
Verlag Rotpunkt Verlag
ISBN 9783858699626
ISBN/EAN 9783858699626
Lieferzeit 5 Werktage (inkl. Versand)
Erfassungsdatum 18.05.2022
Lieferbarkeitsdatum 10.10.2022
Einband Paperback
Format 2 x 20.5 x 13.6
Seitenzahl 224 S.
Gewicht 316