Faber, Max

German Angst

Eine Identitätskrise
250 S. Seiten,Kartoniert
9783039770113
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23. Dezember Ich bin gestern pünktlich kurz nach 16 Uhr am LAX gelandet. Wir sind direkt nach Santa Barbara durchgefahren. Der Himmel war blutrot mit Schimmern aus violett und orange. Diese abendlichen Farben habe ich so sehr vermisst. Alles wird von dem abendlichen Nebel umhüllt. Selbst die Pickup Trucks neben uns, wenn sich das Licht auf ihrem Lack und den Chromfelgen bricht, verlieren ihre monströse Erscheinung und fügen sich in das Abendlied ein. Ob es der Smog ist, wie viele sagen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich es immer vermisse. Was für ein Licht. Kennt man es nicht, vermisst man es nicht, denn man kann es sich überhaupt nicht ausmalen und weiß gar nicht, was man vermisst. Aber ich kenne es. Und es gehört für mich so sehr hierzu, wie der warm-süßliche Geruch von Sarahs Auto. Ich habe letztens in der Bibliothek gestanden vor einem leeren alten Regalschrank und mich nicht abwenden können. Ich hielt meine Nase gegen das Regalbrett, fasste es an - schnell, damit mich niemand so sehen würde - und der Geruch hat mich in das Auto gezogen, auf dessen durchgesessenen Ledersitzen ich auf einmal wieder saß. Altes warmes Holz im Sonnenlicht - so riecht es. Wir haben Edward Sharpe and the Magnetic Zeros gehört. Den Song Home. Bei der Zeile Home is whenever I am with you musste ich Sarah ansehen und sie dabei beobachten wie sie mitsang. Ihr trockener Dialekt klingt so nah noch viel trockener. Sie ist ein Los Angeleno und ich jemand, der erst von ihr lernen musste, dass Los Angeles nicht Eyngeles wie Angel sondern trocken Änjeles ausgesprochen wird. Über WhatsApp und Skype klingt ihre Stimme mechanischer und kühler. Wenn ich neben ihr sitze kann ich gar nicht anders als zuzuschauen, wie ihr Mund sich beim Sprechen bewegt. Es ist surreal. Kein Mikrofon, kein Lautsprecher zwischen uns. Nur mein Ohr an ihrer weichen Stimme. Als ich sie so beobachtet habe, ihre schlanken Finger auf dem Lenkrad und wie sie mitsang, während sie einen Blick in den Außenspiegel warf und den Blinker setzte, kam es über mich. Die Anstrengungen der letzten Wochen, in denen ich jeden Schritt alleine gegangen bin. Und jetzt fuhr sie mich und sang Home und ich fühlte mich Home. Hier auf den weichen Sitzen in Sarahs Auto. Sie hat es gemerkt und mich gefragt Whats up?. So wie nur sie es fragen kann. Aus Interesse und gleichzeitig bestimmt, um zu klären, ob sie in Gefahr ist und man sich über sie lustig macht. Sie mag es nicht beobachtet zu werden. Und eine Eigenschaft der Germans sei, dass sie nicht nur beobachten, sondern starren. Dem kann ich nichts entgegensetzen. Ich habe nur gehaucht Nothings up. Dann hat sie meine Hand getätschelt; kurz - bevor sie beide Hände wieder oben auf das Lenkrad legte. Die grünen Schilder vom 101 Highway im Scheinwerferlicht. Die letzte Ausfahrt, die sich untypischerweise nach links abzweigt, hat mich wieder aufschrecken lassen, was Sarah mit Relax und einem weiteren Tätscheln meines Oberschenkels kommentierte. Das Fenster habe ich runtergekurbelt. Kühle - nicht kalte - Luft im Dezember. Der vertraute Huckel, der bump in the road, vor der Kreuzung; in wenigen Momenten wären wir da. Susan hat das Haus dekoriert mit bunten Lichterkugeln. Wie in einem Weihnachtsfilm der 90er Jahre. So wie sie es schon in L.A. jedes Jahr gemacht hatte. Überall bunte Lichter. Bella hat mich wiedererkannt - das glaube ich zumindest. Ich bin direkt eingeschlafen. Jetzt ist es hier vier Uhr nachts. Sarah schläft natürlich noch und ich liege auf der Couch vor dem dunklen Kamin. Bella hat mich gehört. Ihre Pfoten klackerten auf dem Holzfußboden. Sie hat sich neben mich gelegt mit einem Seufzer. Ich frage mich, warum in Goethes Faust der Teufel sich in Gestalt eines schwarzen Pudels zeigt und ob Goethe jemals einen schwarzen Pudel kennengelernt hat. Wenn ich Bellas Fußnägel auf dem Boden antanzen höre, denke ich jedenfalls nicht an teuflische Klauen, sondern freue mich über den herannahenden Besuch. Ich schreibe Mama, dass es mir gut geht. Vielleicht schreibe ich Papa auch kurz. Susan ist gegen 5 Uhr aufgewacht und hat mich auf der Couch entdeckt. Vermutlich hatte sich das Licht der kleinen Stehleuchte, die ich angeknipst hatte, bis vor ihre Tür geworfen. Du bist aber früh auf., sagte sie und fügte beim Anblick meiner nackten Füße hinzu Es ist kalt. Willst du dir nicht eine Decke nehmen?. Sie schlug ihren Bademantel am Kragen enger. Danke, aber mir geht es gut., antwortete ich. Bist du sicher? Ich könnte Bella auch befehlen, sich neben dich zu legen und dich zu wärmen. Ich versuchte höflich zu lächeln und sagte Mach dir keine Sorgen. Ich bin es viel kälter gewohnt. Ich mache den Heizlüfter dennoch an. Er macht nur einen lauten humming sound, weshalb ich ihn in der Nacht ausmache. Das stört mich. Dann sah sie mich etwas nach vorne gebeugt an und fragte Kennst du den Begriff humming? und fügte, ohne meine Antwort abzuwarten hinzu sssssd. Ja, kenne ich. Oh ok. Gut. Ich werde ihn aber jetzt anstellen. Nicht, dass du dich noch erkältest. Ich fühlte mich dann wie so oft klein. Ich frage mich, spreche ich wirklich so schlecht Englisch? Also spreche ich es nach ihrer Sicht so schlecht aus, dass ich ihr Anlass gebe daran zu zweifeln, dass ich einige Wörter nicht kenne? Und sie spricht trotz den ganz offenbar freundlichen Worten so leise, dass es mir scheint, sie spricht zu sich selbst und nicht zu mir. Nachdem sie den Heizlüfter, der an der Wohnzimmerwand hängt, angestellt und dieser laut zu summen begonnen hatte, öffnete sie die Terrassentür. Sie tat das wohl für Bella, aber auch ich wollte gerne die frische Morgenluft einatmen und aus dem Wohnzimmer heraus. Also eilte ich Bella hinterher, während Susan nachrief Pass auf die Mountain Lions auf! und ich mich fragte, ob sie mich oder Bella meinte, denn ich würde die Vokabel ja vielleicht gar nicht kennen. Während ich die ersten Schritte in der frischen Luft über die Veranda ging, dachte ich was es für ein Glück sein muss, nicht zu wissen, was Kälte eigentlich bedeutet, dann aber verwarf ich den Gedanken schon wieder als Bella und ich in dem nassen Gras umherstapften, dessen Halme so dick sind, dass sie sich wie Stroh anfühlen. Auf den dunklen Bergspitzen schimmerten kleine Lichter - wie eine über diese geschwungene Lichterkette, bei der nur jedes dritte oder vierte Lämpchen lose flackert. Wäre ich ein Berglöwe, würde ich auch hier wohnen wollen. Zum Frühstück gab es den Saft der jetzt reifen Orangen aus dem Garten, selbstverständlich Tee, Toast mit Avocado und einen Cheese Stick, dessen Existenzberechtigung ich jedes Mal erneut in Frage stelle. Frühstück fühlt sie nicht so recht wie Frühstück an, wenn es 17 Uhr in Deutschland schlägt. Zu dieser Zeit frühstückt Sarah, während mein Tag bereits fast vorbei ist. Ich esse eigentlich immer im Stehen, denn zu wem soll ich mich setzen? Sarah sitzt auch nicht; jedenfalls nicht am Tisch, sondern halb auf der Küchenplatte mit herunterbaumelnden Beinen. Wenn sie nicht in ihr Toastbrot biss widmete sie sich ihrem Handy mit dem großen Bildschirm - Work stuff. Ich hatte keinen Work stuff zu tun. Ich hatte seit langer Zeit mal wieder gar keinen Stuff zu tun und so schlenderte ich in den lichtdurchfluteten Gang, der den großen Garten mit Susans Zimmer verbindet und in welchem Waschmaschine und Trockner stehen. Die Fotos von Sarah an der Wand kenne ich noch aus Susans altem Haus in L.A., auch wenn sie hier anders angeordnet sind. Auf einem sitzt Sarah als junges Mädchen in einer Waschtrommel. Ihre braunen Äuglein funkeln vor Freude über den Scherz, den Susan und sie sich erlaubt und fotografisch festgehalten haben. Auf einem anderen Foto ist Susans erstes Auto zu sehen, ein blauer Oldtimer Cabrio, wie er an einer besonders schönen Klippe an dem Pacific Coast Highway parkt. Ein weiteres Foto zeigt Sarah und Susans Vater beim Angeln. Er steht auf einem Steg an einem See und ist halb der Kamera zugewandt. Weißes T-Shirt, gesteifte beige Hose mit Bügelfalte und eng anlie...

Sarah ist ein Los Angeleno. Er ist in Gelsenkirchen aufgewachsen. Er besucht Sarah in der Winterzeit. Ein Kontrast zu dem grau in grau des deutschen Winters. Nach seinen anfänglichen Gefühlen der Heimkehr zeigt sich jedoch, dass das gemeinsamen Leben in Kalifornien immer weiter in die Ferne rückt. Sarah und er finden nicht mehr zusammen, obwohl zwischen ihnen kein Ozean mehr liegt. Sarah hat sich weiterentwickelt, ist erwachsen geworden, wie sie zu sagen pflegt und hält ihm bald schon vor, er sei es nicht. Sie ist pragmatisch und steht mit beiden Beinen im Leben. Er sei teils weltfremd und sie kritisiert, dass er bestimmte Dinge im Leben nicht akzeptieren könne, wie sie nun einmal sind. Er steckt in einer Identitätskrise und erkennt Parallelen zu allem, was auch schon seinen Vater ausgemacht hat. Und was auch seinen Opa ausgemacht hat, als der Himmel über Deutschland dunkel war. Da ist das Streben nach Erfolg, die eingetrichterte Disziplin und der nie verlassene Pfad, der vorgezeichnet ist, auch wenn man ihn nicht immer erkennt. Er versucht die Identitätskrise zu lösen, während ihm Sarah und alles wofür sie die letzten Jahre gekämpft haben zu entgleiten droht.

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Autor Faber, Max
Verlag 8280-edition.ch
ISBN 9783039770113
ISBN/EAN 9783039770113
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Erfassungsdatum 11.06.2024
Lieferbarkeitsdatum 22.08.2024
Einband Kartoniert
Seitenzahl 250 S.