Chomsky, Noam

Über Anarchismus

Beiträge aus vier Jahrzehnten
246 S. Seiten,Kartoniert
9783939045427
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Noam Chomsky: Vorwort zur "Antologija Anarhizma" Der anarchosyndikalistische Denker Rudolf Rocker beschrieb den modernen Anarchismus als das Zusammentreffen der "zwei große[n] Strömungen., die vor und nach der Französischen Revolution einen sehr großen Ausdruck im geistigen Leben Europas gefunden haben: Sozialismus und Liberalismus". Dementsprechend gingen die konstruktivsten Elemente des modernen Anarchismus, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis, aus einer Kritik des liberalen Kapitalismus und aus anderen Tendenzen hervor, die sich selbst als sozialistisch beschreiben. Die liberalen Ideale der Aufklärung konnten in der entstehenden kapitalistischen Ordnung nur auf sehr partielle und eingeschränkte Weise verwirklicht werden: "Demokratie mit ihrem Motto der ,Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz', und der Liberalismus mit seinem ,Recht des Menschen auf seine Person' scheiterten beide an den Realitäten der kapitalistischen Wirtschaft", stellte Rocker zutreffend fest. Denjenigen, die gezwungen sind, sich an die Kapitalbesitzer zu verkaufen, um zu überleben, wird eines der wichtigsten Grundrechte geraubt: das Recht auf produktive, schöpferische und erfüllende Arbeit, selbstbestimmt und in Solidarität mit anderen. Und unter den ideologischen Zwängen der kapitalistischen Demokratie ist es oberstes Gebot, die Bedürfnisse jener zu befriedigen, die in der Position sind, über Investitionen zu entscheiden; wenn deren Forderungen nicht erfüllt werden, wird es keine Produktion, keine Arbeit, keine Sozialleistungen, keine Überlebensgrundlage geben. Notgedrungen stellen alle sich selbst und ihre Interessen zugunsten des vorrangigen Bedürfnisses zurück, den Interessen der Eigentümer und Führungskräfte in der Gesellschaft zu dienen, die darüber hinaus aufgrund ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten ohne weiteres in der Lage sind, das ideologische System (die Medien, Schulen, Universitäten und so weiter) in ihrem Interesse zu formen, die Rahmenbedingungen des politischen Geschehens, seine Parameter und Grundsatzprogramme zu bestimmen und bei Bedarf über die Mittel staatlicher Gewalt zu verfügen, um jeglichen Angriff auf die etablierten Mächte zu unterbinden. In den Anfängen der liberaldemokratischen Revolutionen wurde dies durch John Jay, den Präsidenten des Kontinentalkongresses und ersten Obersten Richter des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten, prägnant auf den Punkt gebracht: "Die Menschen, denen das Land gehört, sollten es regieren". Und dies tun sie selbstverständlich auch, egal welche politische Fraktion jeweils an der Macht sein mag. Die Dinge könnten kaum anders sein, wenn sich wirtschaftliche Macht auf engstem Raum konzentriert und die wesentlichen Entscheidungen über die Lebensqualität, die Investitionsentscheidungen, grundsätzlich der demokratischen Kontrolle entzogen sind. Ebenso kann das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz in der kapitalistischen Demokratie nur teilweise verwirklicht werden. Rechtsstaatlichkeit existiert in unterschiedlichen Abstufungen, aber allzu oft wird Freiheit im wirklichen Betrieb wie alles andere in einer kapitalistischen Gesellschaft zu einer Art Ware: Man bekommt so viel, wie man sich leisten kann. In einer reichen Gesellschaft kann ein Großteil der Bevölkerung Freiheit in einer nicht unerheblichen Menge erwerben, aber für diejenigen, denen die wirtschaftlichen Mittel fehlen, sie in Anspruch zu nehmen, haben die formalen Rechtsgarantien wenig Bedeutung. Im Allgemeinen können die Ideale der Aufklärung nur auf eine Art und Weise verwirklicht werden, die ein schwacher Abglanz ihrer humanen Bedeutung ist. Der Begriff "kapitalistische Demokratie" ist eigentlich ein Widerspruch in sich, wenn wir unter "Demokratie" ein System verstehen, in dem einfache Bürger die Mittel besitzen, tatsächlich an den Entscheidungen mitzuwirken, die ihr Leben bestimmen und ihre Gemeinden betreffen. [.] Eine große Errungenschaft des 18. Jahrhunderts war es, die Idee und teilweise sogar die Grundformen

Noam Chomsky (geb. 1928) ist einer der bekanntesten und einflussreichsten Intellektuellen unserer Zeit. Seit frühester Jugend beschäftigt er sich mit dem Anarchismus und bekannte sich stets zu libertären Idealen als Teil seiner gesellschaftspolitischen Ziele. Dieser Band versammelt zentrale Vorträge, Interviews und Essays aus Chomskys jahrzehntelanger Auseinandersetzung mit der anarchistischen Tradition, die gleichzeitig immer auch Beiträge zu aktuellen politischen Diskussionen gewesen sind. Es geht dabei u.a. um eine Verankerung des libertären Denkens in der Aufklärung, um eine Entgegensetzung von klassischem Liberalismus und spätkapitalistischem Liberalismus, um den Zusammenhang von Sprache und Freiheit und um eine Verteidigung der Kollektivierungen in der spanischen Revolution sowie sozialstaatlicher Errungenschaften. Die Texte zeigen, dass der Anarchismus für Chomsky eine universelle Geisteshaltung ist, die für alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens Bedeutung besitzt. "Sobald jemand illegitime Macht erkennt, herausfordert und überwindet, ist er Anarchist. Die meisten Menschen sind Anarchisten. Mir ist egal, wie sie sich nennen." (Noam Chomsky)

Rainer Barbey ist Dozent für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Regensburg. Neben diversen Fachpublikationen u.a. zum Thema "Literarischer Anarchismus" sind von ihm Anthologien zu den Themen Arbeitslosigkeit und Lärmbelästigung erschienen.

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Autor Chomsky, Noam
Verlag Verlag Graswurzelrevolution e.V.
ISBN 9783939045427
ISBN/EAN 9783939045427
Lieferzeit 5 Werktage (inkl. Versand)
Erfassungsdatum 19.11.2020
Lieferbarkeitsdatum 25.12.2023
Einband Kartoniert
Format 2.2 x 20 x 13
Seitenzahl 246 S.
Gewicht 323